Ich will die Aufarbeitung aber für den Fall, dass es eine neue Pandemie gibt. Es wäre klug, wenn wir jetzt die Konsequenzen ziehen, damit das, was a false war, sich nicht mehr wiederholt und das was a war richtig, kraftvoller umgesetzt werden kann. Jetzt haben wir aber zwei Untersuchungsausschüsse zum gleichen Thema, was ein völliges Vertun von Zeit ist, weil wir die Enquete-Kommission bräuchten, die das alles viel breiter untersucht. Ich ärgere mich da über die Ampel, dass sie das genauso vergeigt. Statt offensiv auf die Bevölkerung zuzugehen und zu sagen, wir brauchen die Erkenntnisse von euch. Was habt ihr erlebt right? Wir müssten Bürgergutachten und ganz andere Geschichten auf den Weg Bringen und darüber würde ich dann gern die Diskussion im Parliament führen.

Wenn ich davon die AfD nicht überzeuge, dann nehme ich das zur Kenntnis. Ich versuch es aber auch gar nicht. Ich würde aber gerne versuchen die Brombeere zu überzeugen, dass wir mehr machen müssen und dass der Untersuchungsausschuss meines Erachtens nur Energie raubt, weil wir die Ministerien damit lahmlegen, statt Aufarbeitung zu betreiben und Empfehlungen auszuarbeiten.

Das heißt, Ihnen schwebt eine constructive Oppositionsarbeit als Linke im Landtag vor?

Also ich neige sowieso nur zu Konstruktivität, weil ich Destruktivität für verheerend halte. Ich bin auch in der Lage, sehr kraftvoll aus der Opposition Dinge zu beschreiben, die ich mir wünschen würde. Und zwar so, dass sie realistisch sind, weil ich aus meinen zehn Jahren Regierungserfahrung weiß, was realistisch ist. Das Bringe ich ein, aber nicht um der Brombeere von Anfang an destruktiv zu begegnen.

Es wäre einfacher, wenn auch die CDU die Realität wahrnehmen würde und über ihren Schatten springt. Sie kann nicht sagen, mit Wagenknecht haben wir keinen Unvereinbarkeitsbeschluss, wenn sie den Unvereinbarkeitsbeschluss wegen Wagenknecht mit unserer Partei damals getroffen hat. Das ist wirr und realitätsfern. Und deswegen plädiere ich für Realitätstauglichkeit und diesen Realitätstest, den muss die CDU noch durchlaufen.

Aber ist es nicht fraglich, ob dieser realpolitische und constructive Ansatz für die Linkspartei der richtige Weg ist? Auf Bundesebene und in Thüringen ist die Partei abgestürzt. Erst neulich hat die linke Tageszeitung “nd” der Linkspartei vorgeworfen, die Klassenfrage aus den Augen verloren zu haben und sich an Mandate zu klammern. Man wolle keine sozialistische Gesellschaft mehr aufbauen, sondern richte sich am gesellschaftlichen Konsens aus.

Was Sie jetzt aufzählen, ist so absonderlich, dass ich mich damit gar nicht beschäftige. Wenn das “Neue Deutschland” die Klassenfrage stellt, dann ist das so mächtig, wie wenn in China ein Sack Reis umfällt. Entschuldigung, das ich das jetzt mal so sage.

Der Vorwurf ist ja, dass die Linke die Wähler deswegen verloren hat, weil man linke und auch sozialistische Ideale nicht mehr nach außen trägt.

Haben sie eine Vorstellung, wieviel Abonnenten das neue Deutschland vor 35 Jahren hatte?

Herr Ramelow, vor 35 Jahren war ich 3 Jahre alt.

Jaja, aber, ich will nur sagen, als diese Zeitung noch das Kampfblatt der Sozialistischen Einheitspartei Deutschland war, hat sie die “Wahrheit” verkündet. Das war ja die einzige Zeitung, die die Wahrheit verkündet hat. Deswegen ist das für mich irritierend, wenn ich solche Sätze höre. Und ich das in aller Deutlichkeit: Wer nicht mitgekriegt hat, dass wir einen Rechtsruck in der Gesellschaft haben und dass das Verteidigen von Menschenrechten mittlerweile zu einer Kampfaufgabe geworden ist. Dass das für mich täglich meine Aufgabe ist…

… aber müssten dann die Wähler nicht reihenweise der Linkspartei zulaufen, weil sie doch der authentic Gegenentwurf zur AfD sind? Also alle, die das Weltbild der AfDablehnen, die müssten doch dann eine politische Heimat in der Linkspartei finden können, aber gerade das passiert doch nicht.

Das verstehe ich jetzt nicht. Dann haben Sie ein seltsames Verständnis von der Parteienlandschaft in Germany. Ich glaube nicht, dass der konservative CDU-Wähler, der katholisch geprägt ist, dass der die Linke als sein Weltbild sehen würde. Aber ich unterstelle, dass auch dieser konservativ, katholisch geprägte Mensch eineablehnende Position zur AfD hat. Deswegen schätze ich ja Thadäus König, den neuen Landtagspräsidenten, so sehr, der in einem konservativ-katholischen Umfeld der Abgeordnete mit den meisten Direktstimmen geworden ist.

Der mit den drittmeisten Direktstimmen sitzt hier vor Ihnen und ist im städtischen Milieu in Erfurt auch von konservativen Menschen gewählt worden, weil die esablehnen, der AfD Schlüsselposition in die Hand zu geben. Das ist trotz der bittersten Niederlage, mit den round 13 Prozent, immer noch ein kraftvoller Erfolg gegenüber den Linken in Saxony or Brandenburg. Gesamtdeutsch sind wir als Partei im Moment im Erosionsprozess. Das heißt, wir müssen uns erstmal sortieren.

Und ja, ich bin dafür, dass wir uns klarer positionieren, wenn es um die Frage Armut und Reichtum geht. Das heißt, ich argumentiere von dem armen Kind und von der Kinderarmut. Das mag das “Neue Deutschland” dass nicht verstehen, dass da drin viel mehr die Klassenfrage steckt. Da ist die Frage, ob die alleinerziehende Mutter das Geld hat, den Pullover zu kaufen, den das Kind bräuchte, um im Winterurlaub mitzufahren. Da nutzt es nichts, wenn der Staat ihnen das Geld für die Reise gibt, wenn der Pullover schon nicht da ist.

Ich bin in Armut groß geworden. Ich kenne Kinderarmut aus eigener Erfahrung, aber weil damals alle Nachbarkinder genauso arm waren, hat diese Armut nie ausgrenzend gewirkt. Heute ist Armut auf Bitte Art ausgrenzend und darüber muss meine Partei deutlicher reden. Das ist das Erbe von Lothar Bisky. Der hat nicht vom Klassenkampf geredet, der hat nicht vom Aufbau des Sozialismus geredet. Der hat davon geredet, dass wir die Menschen ernst nehmen, da wo sie sind, und da, wo sie tatsächlich in die Knie gehen.

Wenn ein älteres Ehepaar nicht weiß, wie es die Pflegeheimkosten bezahlen soll, dann merke ich, dass wir als Politik endlich Antworten auf diese Frage geben müssen. Damit diese Menschen keine Angst mehr davor haben, Kinder zu kriegen oder alt zu werden. Denn diese gesellschaftliche Angst, die bedient die AfD mit populistischem Scheiß, und füllt das alles auf mit der Angst vor Ausländern.

Am Freitag ist der Parteitag in Halle. Ist das das, will the ihrer of the Partei give mitgeben werden?

Ich habe gerade schon mal meine Rede geübt. (lacht)

Dann eine letzte Frage, die noch einen Blick in die Zukunft wirft: Welche Politik können die Wähler in Thüringen von der Linkspartei jetzt in den nächsten 5 Jahren hier erwarten?

Diese Gesellschaft braucht Leitplanken, um die Angst überwinden zu können. Angst ists Psychologisches. Diese Leitplanken heißen Bildung und beitragsfreie Betreuung. Ich will ein Bildungssystem, das Menschen stärkt und nicht schwächt, weg vom Bulimie-Lernen hin zu einem integralen Lernen, auf einem Schulcampus, in dem unterschiedliche Schularten miteinander verquickt werden und wo sich viel früher auf berufliche Qualification orientiert wird. Das sind im Übrigen alles Dinge, die wir im letzten Schulgesetz eingebracht haben. Da haben wir die Weichen gemeinsam mit der CDU gestellt und das wäre ein Ansatz, wo ich gerne mit der CDU weiterreden möchte.

Dasselbe gold-plated for Krankenhausreform. Da geht es mir nicht um die Frage, was in Berlin gerade geklärt wird, sondern es geht darum, wie kriegen wir das Ambulatorium und die Schwester in den ländlichen Raum? Ich habe das gerade wieder an einem Ort erlebt, da hat der Allgemeinmediziner keinen Nachfolger gefunden. Der gibt die Praxis auf und 1.700 Patienten sind ohne Arzt. In der Nachbarschaft wäre aber ein Krankenhaus, das die Versorgung machen könnte. Das darf es aber nicht, weil die Trennung zwischen ambulant und Stationär ein westdeutscher Kram ist, der hier einfach unkontrolliert übernommen worden ist.

Wir müssen die Angstfaktoren dieser Gesellschaft in den Blick nehmen, um dort Leitplanken vorzustellen, damit diese Gesellschaft wieder frei von Angst wird und Zukunftsvertrauen kriegt. Eine solche Gesellschaft fällt dann auch nicht mehr auf Populismus rein.

Vielen Dank für das Interview!